4.Etappe: Cửa Lò – Phong Nha-Kẻ Bàng

[11.Februar | 250km] …von Regen und Müll

Ein vorsichtiger Blick aus dem Fenster und Enttäuschung macht sich breit. Es schüttet immer noch. Zwei Tage Regen und keine Aussicht auf Besserung. Länger warten wir jetzt aber nicht mehr. Ungefähr 250 km liegen heute zwischen uns und Phong Nha-Ke Bang, einem durch sein riesiges Höhlensystem bekannt gewordener Nationalpark im Zentrum Vietnams. Also schnappen wir die Planen und Regencapes, die uns der Motorbike-Shop in Hanoi vorsorglich mitgegeben hat und verpacken uns so gut es geht wasserdicht. Wir müssen echt gut aussehen! In seinem Overall sieht Christoffer aus wie ein Tatortreiniger. Und ich? Ich hab keine Ahnung, wie ich mich mit dem Daypack am Bauch und dem Cape darüber bewegen und erst recht Motorrad fahren soll. 30 Minuten später sitzen wir auf den Rädern und es kann losgehen. Der Wind pfeift unter das Visier und brennt in meinen Augen. Regentropfen auf dem Visier machen eine freie Sicht unmöglich, sodass ich ständig mit der Hand darüber wischen muss. Und dann passiert das Unvermeidliche: übermütig nehmen wir die erste große Pfütze mit und – ZACK – Hose, Schuhe, Socken und Füße sind komplett nass und das Wasser steht nur so in den Schuhen. Für die Zukunft steht eines fest: Plastiktüten nicht nur als Schmutzwäschebehälter wiederverwenden!

Apropos: An dieser Stelle möchten wir über etwas schreiben, was uns schon seit längerer Zeit auf dem Magen schlägt. Aufgefallen ist er uns bereits in China und in Vietnam kommt er an vielen Stellen zum Vorschein, wenn man erst einmal genauer darauf achtet: der unermessliche Müll. Dass sich in Großstädten Abfall rasend schnell ansammelt, sodass er sich auf Balkonen und in Abwasserkanälen stapelt und so ein nettes Zuhause für diverse „Haustiere“ bietet, ist noch irgendwie nachvollziehbar und inzwischen ein gewohnter Anblick geworden. In ländlichen Gegenden, direkt an Wohnhäusern, inmitten einer Attraktion oder sogar in ausgezeichneten Naturschutzgebieten erscheint er doch irgendwie skurril und total deplatziert. Und daran ist der „westliche“ Tourist noch nicht einmal ausschlaggebend beteiligt. Unsere Mentalität ist bereits durch und durch geprägt von Mülltrennung, Recycling und einer regelrechten Phobie gegenüber jegliche Kunststoffprodukte, sodass wir penibel jeden Schnipsel Abfall mit uns nehmen und wir aufschreien, wenn jemand seinen Müll nicht ordnungsgemäß entsorgt (und das ist auch gut so!). Dieses Umweltbewusstsein wird nun in vielen südost-asiatischen Ländern hart auf die Probe gestellt. Man muss nicht lange suchen und man findet den von einer Familie produzierten Müll neben, hinter oder unter dem Wohnhaus zwischengelagert, wobei wir uns fragten, ob sich überhaupt jemand dazu bereit erklären würde, diese Müllberge zu beseitigen (von der Frage der Mülltrennung mal ganz abgesehen). Einigen scheint der Abfall auf dem eigenen Grundstück dann doch zu stören. Dann verschafft man sich Abhilfe, indem man ihn einfach verbrennt oder ins benachbarte Grundstück verlagert, egal, ob es sich einfach um freies Land oder um eine Touristen-Attraktion handelt. Spätestens bei dem Umgang mit den eigenen Naturschutzgebieten (manche davon von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet) fragen wir uns nach dem Sinn unserer Lebensphilosophie. Oft standen wir an irgend einem Hafen und ein ungesunder Geruch stieg uns in die Nase, während wir dem nicht abreißenden Müllstrom hinterher sahen. Warum schleppen wir dann überhaupt noch jeden Plastikschnipsel bis zum nächsten Mülleimer mit uns mit?

Zaunmüll

Doch wem genau kann man da die Schuld zuschieben? Es fängt ja bereits bei der Lebensmittelindustrie an. So gut wie jedes Getränk (vor allem Wasser) ist in Plastikflaschen verpackt. Säfte gibt’s nur in Plastikbechern mit Plastikdeckeln und Strohhalmen. Jede Süßigkeit (ob kleine Kuchen, Kekse oder Bonbons) wird einzeln in kleine Tütchen verpackt, die sich wiederum in etwas größeren Verpackungen befinden. Geht man nun mit seiner Plastikflasche, der Packung Kekse und den Äpfeln mit Druckstellenschutz zur Kasse, werden die Lebensmittel extra eingepackt in … richtig … Plastiktüten. Die bekommt man ganz umsonst und am liebsten eine Tüte pro Gegenstand. Irgendwie nachvollziehbar, dass da die Müllabfuhr täglich zu den Städten kommen muss.
IMG_0534Wir jedenfalls versuchen unseren Müllkonsum so gering wie möglich zu halten und der Satz „No plastic bag please!“ kommt schon voll automatisch. Was sich sonst noch so ansammelt, tragen wir so lange mit uns rum, bis wir auf einen der seltenen und oft überfüllten Mülleimer stoßen. Eine vietnamesische Dame löste ihr Abfallproblem da viel eleganter, indem sie ihre leere Plastikflasche wie selbstverständlich am Straßenrand fallen ließ – leider zu spät gesehen, sonst hätte ich ihr diese Flasche als freundliche Erinnerung an den Kopf geworfen! Was ist der Grund für diesen achtlosen Umgang mit der Umwelt? Desinteresse? Fehlende Aufklärung? Faulheit? Wohl eine Mischung aus allem. Ein ausschlaggebender Punkt ist wohl, dass besonders die ärmere Bevölkerung ganz andere Sorgen hat, als sich um die (doch nicht mehr so) ferne Zukunft zu sorgen. Da zählt jeder Tag, an dem für die Familie gesorgt werden kann – und da sind Lebensmittel etc. in Plastikverpackungen nur praktisch und billig… Wir versuchen jetzt jeden deplatzierten Müll auf unseren Wegen mitzunehmen und Plastiktüten werden weiterhin fleißig umfunktioniert – demnächst auch zum Spritzschutz für die Schuhe!

DHCMAuf der Hälfte der Strecke hat es endlich zu regnen aufgehört und wir machen unsere Mittagspause in einem lokalen Restaurant direkt an der Straße. Zitternd schnappen wir uns zwei Plastikstühle und ziehen unsere Schuhe und Socken aus. Ein alter Mann, wohl der Besitzer, setzt sich zu uns und lacht, als wir die Socken auswringen. Er erzählt fröhlich auf vietnamesisch drauf los und bietet uns Bier aus einem Behälter an, als uns das warme Essen gereicht wird: es gibt Reis, gekochtes Gemüse und Huhn. Mit trockenen Socken und Tüten darüber schlüpfen wir wieder in die nassen Schuhe und beginnen die zweite Hälfte unserer 4.Etappe. Die Straße führt uns durch Waldabschnitte und die ersten Ausläufer der Berge zeichnen sich ab, als wir einen Meilenstein mit der Aufschrift „DHCM km1002“ erreichen. Über 1000km der Ho Chi Minh-Road liegen bereits hinter uns – einen Teil dieses Abschnitts haben wir befahren und noch mal so viel müssen wir noch bewältigen. Kaum haben wir den Eingang des Nationalparks passiert, verändert sich die Straßenlage abrupt. Die sonst eher kurvenarme Straße schlängelt sich jetzt über einen Gebirgskamm, hinter dem sich unser Zielort befinden muss. In den nächsten Stunden geht es über engen Serpentinen bergauf und bergab, vorbei an vereinzelten Dörfern und vom Dschungel überwucherte Berge. Und immer wieder zieht sich der Himmel bedrohlich zu. Unsere Motorräder kämpfen und die Hände und Füße schmerzen vom ständigen Schalten. Hier verlieren wir viel Zeit. Es ist schon dunkel geworden, als wir die Straße zu unserer Stadt erreichen. Keine Straßenlampen erleichtern die Sicht und ich wundere mich, warum Christoffer auf der Straßenmitte fährt. Erst, als uns ein Motorradfahrer entgegen kommt, sehe ich in seinem Scheinwerferlicht den herrenlosen Anhänger, dem ich noch gerade rechtzeitig ausweichen kann. Noch einige andere Gegenstände erscheinen uns aus dem Nichts (Fahrräder, Kühe, Fußgänger), bis wir endlich die Stadt erreichen. Zum Glück ist das Eingangstor unserer Unterkunft durch Lichterketten erleuchtet. Erleichtert und zufrieden parken wir unsere Motorräder und lösen das Gepäck, als die Besitzerin aus dem Restaurant tritt und ungläubig auf die Uhr schaut. Ach stimmt, wir hatten uns ja für 16 Uhr angemeldet. Mit fast 4 Stunden Verspätung checken wir ein und freuen uns über den Heizstrahler, heißen Tee und Bier!

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